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Kurdischer Journalist in der Türkei zu sein, bedeutet Lebensgefahr!

DİCLE MÜFTÜOGLU / CO-VORSITZENDE DER JOURNALISTENVEREINIGUNG DİCLE-FIRAT

Es ist sehr schwierig, ein kurdischer Journalist in der Türkei zu sein. Neben alltäglichem Druck, Belästigung, Zwang zur Spionage sind wir immer mit dem Tod konfrontiert. Zum Beispiel den Unfall (!), den wir erlebten, als ein Polizeiauto in Zivil unser Auto blockierte, während wir zu einer Berichterstattung nach Şırnak fuhren … Ich konnte mein Haus während meiner Behandlung wegen eines gebrochenen Nackenknochens bei dem Unfall ein Jahr lang nicht verlassen ..

Der Journalismus in diesen Ländern ähnelt der Mission der Dengbêjs (Sprechsänger) in der Vergangenheit – sie haben heute noch dieselbe Bedeutung. Die Aufgabe der Dengbêjs war es, der Öffentlichkeit Ereignisse zu vermitteln, die niemand kennt oder hört bzw. nicht hören möchte. Dengbêjs arbeiteten wie die mündlichen Literaten oder Journalisten dieser Zeit. Sie erzählten die Ereignisse und Geschichten, die sie erlebten, auf melodische Weise und reisten entsprechend den Bedingungen des Tages von Dorf zu Dorf. Obwohl Journalismus im Allgemeinen als die Verbreitung von Nachrichten auf der ganzen Welt defi niert wird, wird er in diesen Ländern zu einer etwas schwierigeren Aufgabe – das gilt für alle Orte, an denen ein ähnlicher Druck ausgeübt wird. Wie die Dengbêjs in alten Zeiten unternehmen kurdische Journalisten eine Mission, um der ganzen Welt Krieg, Schmerz, Unterdrückung und Widerstand zu verkünden.

Ich habe dieses Abenteuer in İstanbul begonnen. Nach der „KCK-Presseaktion“ und dem Roboski-Massaker wurde mir jedoch klar, dass ich in diese Länder kommen und hier journalistisch tätig werden musste. Es war mit der journalistischen Ethik unvereinbar, eine Berichterstattung zu akzeptieren, welche zum Roboski-Massaker 13 Stunden lang geschwiegen hat und erst nach den Äußerungen von Staatsbeamten die ersten Nachrichten veröffentlicht wurden. Als ich nach Diyarbakır kam, hatte ich das Gefühl, an der Hauptnachrichtenquelle gelandet zu sein. Kurz nach meiner Arbeit in der Region habe ich persönlich erlebt, wie es ist, hier journalistisch tätig zu sein. Am 28. August 2012 wurde unser Fahrzeug von einem Polizeifahrzeug in Zivil eingeklemmt, als wir für eine Berichterstattung nach Şırnak fuhren. Wir hatten einen Unfall, weil unser Reporterfreund, der der Fahrer war, aus diesem Grund die Kontrolle über das Lenkrad verlor. Ich wurde wegen einer Halswirbelfraktur (C2) bei dem Unfall etwa 1 Jahr lang behandelt und konnte das Haus nicht verlassen. Obwohl die gesundheitlichen Probleme nach dem Unfall noch zu spüren sind, hat die Liebe zum Journalismus nie aufgehört. Als jemand, der diese Realität der Gewalt persönlich erlebt hat, wäre es nicht anders möglich gewesen.

Während meiner Arbeit wurden Dutzende von Ermittlungen und Klageschriften gegen mich eingereicht, da ich als verantwortliche Redakteurin der Dicle News Agency (DİHA) und von dihaber sowie als Reporterin tätig war. Zusätzlich zu den laufenden Gerichtsverfahren wurde ich in 3 Fällen verurteilt und diese wurden schließlich aufgeschoben (Aufschub der Strafe, d. h. Aufschub um 5 Jahre, ohne die gleiche Straftat zu begehen). Aber die größte Herausforderung für Journalistinnen und Journalisten sind hier leider nicht die Anklageschriften.

Journalisten, die in der Vergangenheit von den Regierungen als gefährlich angesehen wurden, werden nun vollständig ins Visier genommen. So sehr, dass sie leider ihre Identität und ihre journalistische Ausrüstung an jedem Ort verstecken müssen, an dem sie oft vorbeikommen. Wenn sie den Checkpoint am Eingang einer gewöhnlichen Stadt passieren, wenn sie nach ihrem Beruf befragt werden und richtig antworten, wird ihr Fahrzeug genauer durchsucht, ihre GBT (Allgemeine Informationssammlung; staatliches Informationssystem über Personen) abgefragt, und manchmal ist ihr Zugang zur Stadt versperrt. Im Jahr 2016, während die Ausgangssperre in Şırnak andauerte, wurde ich dreimal in der Stadt inhaftiert, in die ich ging, um über die Zeltbewohner in der Region zu berichten. Als ich zum ersten Mal festgenommen wurde, machte die Polizei ein Foto von mir. Ich konnte nicht verstehen, was in diesem Moment vor sich ging, aber als ich zum zweiten Mal von einem Patrouillenteam festgenommen wurde, hieß es: „Wir kennen Sie nicht, aber Ihre Beschreibung wurde uns gemeldet. Es ist Ihnen nicht gestattet ohne die Aufsicht von Panzerwagenteams und ohne die Erlaubnis des Gouverneurs zu berichten“, und dann wurde ich mit meinem Reporterkolllegen neben mir mit dem Tode bedroht. Als ich das nächste Mal festgenommen wurde, sagte die Polizei klar und unmissverständlich: “Die Leute in den Zelten sprechen gegen den Staat. Ich werde sie nicht innerhalb der Stadtgrenzen berichten lassen.“

Obwohl dieses Beispiel persönlich ist, ist es zum Alltag kurdischer Journalisten geworden. Genau aus diesem Grund haben wir den Journalistenverband Dicle Fırat gegründet, um unsere Rechte zu verteidigen und die Solidarität der Journalisten in einem Umfeld zu organisieren, in dem die Presse- und Meinungsfreiheit so stark mit Füßen getreten wird. Obwohl unser Verband neu ist, haben wir begonnen, Journalisten in den meisten regionalen Städten zu erreichen. Im Rahmen der Anträge unserer Mitglieder und der von uns bei anderen Presseorganisationen eingeholten Informationen erstellen wir regelmäßig einen monatlichen Bericht über die Verletzungen von Rechten der Meinungs- und Pressefreiheit.

Das Bild, das wir mit diesen Berichten der Weltöffentlichkeit zu vermitteln versuchen, ist nicht sehr rosig. Laut Augustbericht unseres Vereins stehen noch 63 Journalisten unter Hausarrest. Im August wurden 5 Journalisten festgenommen, 8 angegriffen, einer wurde zur Spionage gezwungen, 211 Nachrichten und 6
Websites wurden gesperrt.

In den Städten der Region herrscht nach wie vor der in der gesamten Türkei vorherrschende Zustand der Blockierung von Journalisten bei der Nachrichtenverfolgung. Journalisten sind erneut die erste Zielscheibe der Polizei, die aufgrund des in den Städten angekündigten Aktions- und Betätigungsverbots in jede gesellschaftliche Aktivität eingreift. Die Polizei, die Journalisten oft mit Schilden den Weg versperrt oder sie aus dem Gebiet entfernt, versucht zu verhindern, dass ihre Gewalt der Weltöffentlichkeit bekannt wird. Journalisten, die auch in Kriegssituationen von beiden Seiten geschützt werden müssen, sind leider entweder der Gewalt ausgesetzt oder werden von den Strafverfolgungsbehörden an ihrer Arbeit gehindert.

Leider ist die Meldung der von Staatsbeamten begangenen Verstöße ein Grund für eine Verhaftung oder Untersuchung in der Türkei. In diesen Fällen werden Journalisten wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ und „Propaganda für eine terroristische Vereinigung“ wegen ihrer Nachrichten vor Gericht gestellt. Eines der wichtigsten Beispiele dafür haben wir bei der Helikopterfolter in Van gesehen. Bei dem Vorfall vor einem Jahr wurden 2 Bürger in der Nähe ihres Dorfes festgenommen, gefoltert und dann aus dem Hubschrauber geworfen. Cemil Uğur und Adnan Bilen, Reporter der Mesopotamien Agency, die den Vorfall aufdeckten, sowie die Journalisten Nazan Sala und Şehirban Abi wurden festgenommen. Die Journalisten wurden wegen ihrer Pflichterfüllung sechs Monate inhaftiert, die Verfahren gegen sie laufen noch, aber das Ergebnis der Ermittlungen gegen die Folterer ist nicht bekannt.

Ein weiteres Problem für Journalisten ist der Zwang zur Spionage. Am 28. und 29. Juli wurden die JinNews-Reporter Gülistan Azak und Dilan Babat von Personen bedroht und bespitzelt, die sich als Mitglieder des Geheimdienstes vorstellten. Azak und Babat wurden bedrängt, damit sie Informationen über ihre Nachrichtenquellen durchsickern lassen, was völlig gegen die Prinzipien des Journalismus verstößt.

Trotz dieser Reihe von Verstößen und Gewalt, über die ich nicht zu Ende schreiben konnte, werde ich nicht aufhören, der Welt die Wahrheit zu verkünden, sowohl als Journalistin als auch als DFG-Co-Vorsitzende. Das Prinzip des Journalismus verlangt genau dies.

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