Der russische Präsident hat seine Drohungen wahr gemacht und ist mit rund 200.000 Soldaten in die Ukraine einmarschiert. Täglich kommen Berichte über Kriegsverbrechen. Die Bilder aus Kiew, Charkiv und Mariupol ähneln denen von Grozny, Aleppo und dem belagerten Sarajevo in den 1990er Jahren. In Russland wird die Invasion als Militäroperation in der Ukraine verkauft, um das Land zu entnazifizieren und dem Völkermord an ethnischen Russen ein Ende zu setzen. Und ein Großteil der Bevölkerung glaubt das.
Putin hatte seit Jahren die Medien in seinem Land fast vollständig unter seine Kontrolle gebracht. So hatte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger, Volker Schulze, schon 2004 den Druck auf die Medienhäuser und ausländische Journalist:innen in Russland kritisiert. Es sei bedauerlich, dass selbst ein Land wie Russland, an das Verleger und Journalisten weltweit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs große Hoffnungen geknüpft hätten, in überholt geglaubte Repressionsstrukturen zurückfalle und in- und ausländische Medienvertreter behindere, so Schulze.
Wenige Wochen vor den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr wurde erneut die Presse- und Meinungsfreiheit in Russland eingeschränkt. Mindestens 5 regimekritische Nachrichtenseiten sahen sich gezwungen, ihre Arbeit einzustellen. Die Regierung erklärt dazu die betroffenen Medien zu sog. „ausländischen Agenten.“ Reporter ohne Grenzen hat entsprechende Gesetze unter die Lupe genommen, die das russischen Parlament während der Corona-Pandemie durchgewunken hatte. Diese Gesetze zu Verleumdung und angeblichen Falschnachrichten erlauben es der russischen Regierung, unliebsame Informationen zu verhindern. Kaum hatte die Invasion in die Ukraine begonnen, verschärfte der russische Präsident den Druck auf Journalist:innen. Der Krieg gegen die Ukraine darf in Russland weder als Krieg noch als Invasion bezeichnet werden, es sei nach Ansicht des Kreml eine „Spezialoperation.“ Wer es dennoch wagt, riskiert jahrelange Haftstrafen. Deswegen hat die wichtigste unabhängige Zeitung in Russland, die Nowaja Gaseta, ihr Erscheinen im März ausgesetzt. Auch auf ausländische Journalist:innen wird enormer Druck ausgeübt. So hat das russische Justizministerium die Deutsche Welle als „ausländischen Agenten“ eingestuft. Trotz alledem demonstrieren immer wieder russische Bürger:innen gegen den Krieg, und auch Aleksei Nawalny ruft aus der Strafko- lonie heraus zu Protesten auf.
Die Ukraine gilt derweil für Journalist:innen als besonders gefährlich. Bis Ende März wurden durch Angriffe des russischen Militärs laut dem Schweizer Nachrichtenseite NAU.CH bereits 12 Journalist:innen getötet und 10 verletzt worden. Die Angriffe auf Kiew, Charkiw und andere Städte haben sogar zugenommen. Mariupol ist komplett eingekesselt und besteht in weiten Teilen aus ausgebrannten Ruinen. Bis zum Ende des Krieges wird die Zahl der getöteten und verwundeten Journalist:innen in der Ukraine noch weiter zunehmen. Auch die Festnahmen von russischen und ukrainischen Journalist:innen dürfte sich in dieser Zeit erhöhen.
Das Kunstprojekt „Wahrheitskämpfer“ setzt den unabhängigen Journalist:innen in Russland und der Ukraine ein Denkmal. Bislang wurden 36 von ihnen portraitiert. Die Ar- der unabhängigen Journalist:innen setzt gerade in diesen Ländern viel Mut voraus. Das bewundern die Künstler:innen, dies wollen sie würdigen. Die mittlerweile insgesamt 500 Por-traits aus aller Welt werden seit 2015 in einer Online-Ausstel- lung und weltweit in einer Wanderausstellung gezeigt. Unter www.wahrheitskaempfer.de können diese Portraits betrachtet werden.Texte über die dokumentierten Journalist:innen sowie über ausgewählte Länder vervollständigen dieses Mahnmal der Pressefreiheit. Das für alle offene Projekt freut sich über weitere Mitstreiter:innen, die bei der Recherche helfen, Texte schreiben oder Portraits zeichnen wollen.
* Erkan Pehlivan ist freier Journalist aus Frankfurt/Main und Mitglied des Kunstprojekts „Wahrheitskämpfer“.