HADEER MEKAWY / Ägypten
Die ägyptische Journalistin begann ihre journalistische Karriere im Jahr 2012. Sie wurde in Ägypten verhaftet und später freigelassen. Neben ihrer Arbeit als Journalistin ist sie auch als Menschenrechtsaktivistin tätig. Sie war Teil des Teams, das die Bewegung „Journalismus ist kein Verbrechen“ ins Leben gerufen hat. Sie verließ ihr Land und lebt seither in Europa.
„Ich erinnere mich gut an den Slogan der Revolution in Ägypten: Brot, Freiheit, Gerechtigkeit und menschenwürdiges Leben“
Viele schmerzhafte Jahre sind vergangen, aber wir geben nicht auf, unser Recht auf Leben zu fordern. Ein würdevolles Leben, ohne Demütigung
und Unterdrückung, ist das Recht eines jeden Menschen. Das Recht auf Leben bedeutet, Tag für Tag für den eigenen Lebensunterhalt, für die familiären und häuslichen Bedürfnisse sorgen zu können. Es bedeutet, Ihren Kindern zu ermöglichen, eine Ausbildung zu erhalten, und alle ihre Bedürfnisse zu stillen.
Ich erinnere mich gut an den Slogan der Revolution in Ägypten: Brot, Freiheit, Gerechtigkeit und menschenwürdiges Leben. Brot bedeutet für mich, dass der Mensch etwas für seine Arbeit zurückerhält. Jeder Einzelne in der Gesellschaft sollte eine Arbeit haben, in die er Zeit und Kraft einbringen kann. Die Bezahlung sollte sich nach den Bedürfnissen richten. Man sollte nicht schon zur Monatsmitte darüber nachdenken müssen, was man noch zu Essen hat, was
man anzieht, wie man die Kosten für die Schule deckt, wie man den Nachhilfeunterricht für die Kinder sowie Miete, Strom- und Wasserrechnungen bezahlt.
BROT UND GERECHTIGKEIT
Niemand sollte unter der Armutsgrenze leben. Niemand sollte der täglichen Nahrung und Kleidung ermangeln. Niemand sollte obdachlos sein. Bürgersteige sollten keine Obdachlosenunterkünfte sein. Niemand sollte seinen Einfl uss nutzen, um die Freiheit eines anderen zu beschneiden. Es sollte wirtschaftliche, soziale und politische Freiheitgeben. Ein Mensch sollte Zugang zu allem haben, was zum Leben nötig ist.
Ein Mensch sollte sein ganzes Leben lang fair behandelt werden, ohne politische oder soziale Verfolgung erdulden zu müssen. Wenn dieser Slogan verwirklicht wird, werden Freiheit und Menschenwürde die Grundlage für ein gerechtes Leben sein. Ich glaube fest an diesen Slogan. Viele Jahre sind seitdem vergangen, geändert hat sich jedoch nichts. Alle Slogans, die wir riefen, verpufften. Es braucht Menschen, die den Mut haben, ihnen Leben einzuhauchen. Es wird jeden Tag schlimmer. Despotismus und Verfolgung haben sich längst etabliert. Mit Armut und Hunger nahmen Gier und Diebstahl im Land zu. Die Gesellschaft ist Opfer dieser vorsätzlichen Korruption geworden.
Die Situation ist so schlimm, dass eine große Anzahl von Menschen ein noch miserableres Leben führt als das Leben, in dem die Gesetze des Dschungels gelten. Das kann man kaum Leben nennen. Erst wenn sich die Führer des Landes von Despotismus, Verfolgung und Ignoranz lossagen, werden die Jahre des Wandels beginnen.
Heute zahlen viele von uns den Preis für diese falsche Politik. Die Befürworter des Wandels und ich denken über die Zukunft unserer Kinder nach – das haben wir versprochen. Wir werden nie aufhören, die Wahrheit zu sagen, auch wenn wir aus unserem Land geflohen sind, weil wir die Wahrheit geschrieben haben und befürchten mussten, verhaftet zu werden.
Wir sind entschlossen, diesen Marsch bis zu unserem letzten Atemzug zu Ende zu führen. Selbst wenn wir nicht in unsere Heimat zurückkehren könnten, werden wir nicht aufhören, von guten Zeiten zu träumen. Ich werde nicht aufhören zu träumen, dass einmal jedes Kind eine Zukunft haben wird und nicht in einer Heimat aufwachsen muss, die ihm seine Recht nimmt – Rechte, die es noch nicht einmal kennt. Wir werden nicht zulassen, dass Ägypten und andere Despotenländer unsere Träume stehlen. Und wir werden alles versuchen – bis wir eine lebenswerte Welt bekommen, wie wir sie uns erträumen.
Wir werden arbeiten, bis wir eine Welt haben, in der es keine Verfolgung und Korruption gibt oder in der nicht mehr einige wenige Menschen versuchen, ihre persönlichen Interessen auf dem Rücken anderer durchzusetzen. Als freie Journalisten werden wir schreiben, bis wir unsere Länder in einem lebenswerten Zustand sehen. Wir werden die Entwicklungen verfolgen, bis wir ein Land haben, in dem sich der Soldat in seine Kaserne zurückzieht,
seine Schutzfunktion wahrnimmt und sich nicht in die Regierung einmischt. Sobald die unfähigen Herrscher aufhören, das Volk im Namen ihrer Interessen zu täuschen, werden unsere Träume wie von selbst Wirklichkeit werden.
FÜR EIN LEBENSWERTES LAND
Wenn die Regierungen auf junge Menschen gehört hätten, die anders dachten als sie, statt deren Leben auszulöschen, statt Journalisten und Anwälte für ihre Arbeit zu inhaftieren, statt Bürger einzusperren, weil sie sich der Unterdrückung widersetzten, wäre dieses Land ein lebenswerteres geworden.
Ich wünschte, ein Lehrer müsste sich keine Sorgen machen, wie er seinen Lebensunterhalt verdient. Wie schön und lebenswert wäre das Land, wenn die Gesetze befolgt würden, die erlassen wurden, um Korruption, Diebstahl, Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe zu verhindern.
Wenn Kindertagesstätten nicht mehr „Folterorte“ wären.
Wenn die Behörden das Wort „Heimat“ nicht in den Mund nehmen würden, wenn es um ihre persönlichen Interessen geht. Wenn Gefängnisse, auch für Kriminelle, nicht zu Gräbern würden. Wenn die Intellektuellen, Ökonomen, Politiker, Anwälte und Journalisten eines Landes die Stellung bekämen, die sie verdienen. Wenn die Eliten des Landes nicht in den Kerkern, sondern neben uns ständen. Wenn diese Menschen, die ihrer Freiheit beraubt worden sind, bald befreit wären. Wir werden nicht lockerlassen, bis ein Vater, der über Selbstmord nachdenkt, weil er kein Brot mehr nach Hause bringen kann,
mehr Zeit mit seinem Kind verbringt …
Wir werden jeden Ihrer Schritte verfolgen. Bis das Vaterland alle seine Kinder umarmt … Bis Menschen, die aus Angst vor Unterdrückung, Tod, Hunger und Verhaftung aus ihrer Heimat fliehen mussten, in ihre Heimat zurückkehren … Bis zu dem Moment, in dem wir ohne Angst in sozialen Medien und Zeitungen schreiben … Bis keiner mehr in den Gefängnissen vor sich hin vegetiert … Bis die Märtyrer, die für ihre schönen Träume ihr Leben gaben, zu ihrem Recht kommen … Wir werden trotz aller Schmerzen weiter schreiben und träumen, bis bessere, gute Zeiten für die Menschheit kommen.